Wenn Lebendigkeit plötzlich ein Etikett bekommt – Gedanken einer Mutter
- irialacarta1
- 7. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Manchmal frage ich mich, wann genau wir angefangen haben, das Lebendige in uns als „zu viel“ zu empfinden.

In letzter Zeit höre ich (ob auf dem Spielplatz, in Gesprächen mit Eltern oder sogar von Kindern selbst) immer häufiger das Wort ADHS.
„Vielleicht habe ich ADHS, ich kann mich heute gar nicht konzentrieren.“
„Mein Kind kann nicht stillsitzen, bestimmt hat es ADHS.“
Sätze wie diese begegnen mir immer wieder.
Ich bin keine Ärztin. Keine Psychologin. Ich komme aus der HR-Welt, und bin Mama. Und wie viele andere beobachte ich aufmerksam, was sich da gerade verändert: im Verhalten unserer Kinder, aber auch in unserer Sprache.
Zwischen Diagnose und Selbstbild
ADHS, oder auf Fachdeutsch „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“, ist ein reales Phänomen. Für betroffene Kinder, Jugendliche oder Erwachsene kann es eine grosse Herausforderung sein, und professionelle Unterstützung ist in vielen Fällen notwendig und hilfreich. Daran zweifle ich keine Sekunde.
Was mir aber auffällt, ist etwas anderes:
Dass wir zunehmend normale menschliche Eigenschaften, wie Bewegungsfreude, Neugier, kreative Gedankenflüsse oder impulsive Ideen, mit einer Diagnose verknüpfen.
Manchmal frage ich mich: Wann wurde Lebendigkeit eigentlich ein Symptom?
Vielleicht ist es keine Störung, sondern ein Geschenk
Ich kenne viele Menschen (Kinder wie Erwachsene), die voller Energie sind. Sie sprühen vor Ideen, reden mit leuchtenden Augen über Dinge, die sie faszinieren, tanzen durchs Leben mit einer Art innerem Funkeln. Und ja, sie passen nicht immer in jedes Schema. Sie sind laut, leidenschaftlich, manchmal chaotisch. Aber ist das automatisch ein Problem? Oder sind sie vielleicht einfach genau so, wie sie gemeint sind?
Auch ich habe früher oft gedacht, ich müsste meine Kreativität zügeln, meine Energie verstecken, meine vielen Ideen „sortieren“. Heute weiss ich: Das bin ich. Und gerade weil ich so bin, schreibe ich Bücher, stelle Kunst aus oder bringe Menschen zum Lachen – und finde immer wieder neue Wege, das Leben zu gestalten.
Ein Plädoyer für mehr Spielraum im Menschsein
Was wäre, wenn wir wieder ein bisschen mutiger wären im Zulassen? Wenn wir nicht jede Unruhe als Störung, jede Sprunghaftigkeit als Defizit sehen würden? Wenn wir, bei uns selbst, bei unseren Kindern, bei anderen, wieder mehr auf das schauen würden, was möglich ist, statt auf das, was „nicht normal“ erscheint?
Ich sage nicht, dass man echte Symptome ignorieren soll. Im Gegenteil. Wer leidet, soll Hilfe bekommen – unbedingt. Aber ich wünsche mir, dass wir nicht vorschnell Etiketten verteilen. Dass wir öfter mal innehalten und uns fragen: Könnte es sein, dass da einfach ein Mensch ist, der anders tickt, aber genau deshalb so wertvoll ist?
💬 Zum Schluss ein Gedanke
Ich glaube, wir alle kennen Tage, an denen wir nicht stillsitzen können, uns schlecht konzentrieren, von einem Gedanken zum nächsten springen. Das heisst nicht gleich, dass wir krank sind. Vielleicht sind wir einfach nur: lebendig.
Und vielleicht ist genau das etwas, das wir bei unseren Kindern bewahren sollten. Und auch bei uns selbst.
Iria Lacarta



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